NOIZZ.de: Wer ein Kompliment macht, dem wird schnell ein Flirt unterstellt. Dabei ist ein ehrlich gemeintes „Du siehst heute wirklich gut aus“ nur ein Satz, der seinem Gegenüber ein wenig Freude und Selbstvertrauen mitgeben soll. Wir haben verlernt, andere Leute zu loben – und Lob anzunehmen.

Ich habe mich heute im Spiegel angeschaut, und wäre der Spiegel ein Typ namens Money Boy, er hätte den Swag aufgedreht. Auf Anschlag.

Ist es arrogant, sich heiß zu finden? Nein – es ist sogar enorm wichtig, sich in seinem Körper wohlzufühlen und seine Leistungen anzuerkennen. Wer ein Kompliment bekommt, der muss sich dafür nicht rechtfertigen. Auf „Das Kleid steht dir“ gibt es nur eine richtige Antwort, und die lautet „Ja, danke – ich weiß!“

Du hast für dieses Kleid gearbeitet, und würdest du nicht gut darin aussehen, du hättest es nicht gekauft. Dennoch meinen viele Menschen, sie für jedes Lob erklären zu müssen. Wer ein Kompliment für ein neues Shirt bekommt, der kontert schnell mit „Ja, das war gerade runtergesetzt“. Auf „Du siehst heute gut aus“ folgt „Ach Quatsch, ich habe voll die krassen Augenringe“. Blödsinn. Dann hast du eben den besten Abdeckstift der Welt. Super Kauf, gut gemacht!

>> Moses Pelham im NOIZZ-Interview: „Kompliment, wenn Menschen anfangen zu weinen“Deinen Hund lobst du schließlich auch 500 Mal am Tag – warum dann nicht auch deine Mitmenschen?Foto: Unsplash / Raquel García @raquelrgarc

Flirt mit Hintergedanke oder ehrliches Kompliment?

Ein „Du hast schöne Augen“ kann der schlechteste Anmachspruch der Welt sein – oder einer Person den Tag verschönern. Wer flirten will, kann loben – muss es aber nicht zwangsläufig. Ob dein Gegenüber nun hetero- oder homosexuell (*) ist, ist völlig egal. Bei Komplimenten spielt das Geschlecht keine Rolle. Du bist eine heterosexuelle Frau und sagst einer anderen Frau, wie schön sie ist? Großartig! Dann machst du etwas, was vielen sehr schwerfällt: Neid beiseiteschieben und Anerkennung äußern.

Das Problem: Die andere Person ist mit diesen netten Worten womöglich überfordert. Wir können mit Komplimenten nicht umgehen, weil wir sie viel zu selten bekommen. Zumindest solche, die ehrlich gemeint sind. Wer jeden Tag Komplimente verteilt wie die Jecken Bonbons an Fastnacht, der wird nicht ernst genommen. Deshalb ist Kritik – die nicht nur negativ ist – ebenso wichtig und sollte möglichst ehrlich sein.

Wer Petersilie zwischen den Zähnen hängen hat, der möchte nicht hören, dass er super aussieht. Der will verklickert bekommen, dass er mal eben ins Bad huschen soll. Dein Freund kommt aus der Umkleide, aber die Jeans wird seinem fantastischen Hintern nicht gerecht? Sei ehrlich – die Entscheidung, sie zu kaufen, liegt am Ende bei ihm.

Komplimente sollten aufrichtig sein. Weniger ist mehr. Wie bei Bonbons gibt es auch solche, die viel zu süß sind und irgendwann für ein ungutes Gefühl in der Magengrube sorgen. Freundlich sein heißt nicht, sich aufzudrängen. Es sei denn, du bist Italiener*in. Die überschütten sich gegenseitig mit Komplimenten. Küsschen und charmante Lobeshymnen sind im Süden normal. Ein „Ciao Bella“ ist so üblich wie das „Grüß Gott“ auf dem Dorf.

Oder hat dir schon mal jemand „Hallo Schönheit“ hinterhergerufen – ohne, dass du vor lauter Angst davongerannt bist?

Komplimente haben nichts mit dem Aussehen zu tun

Tolle Augen hat sich keiner bei Amazon Prime gekauft. Mit den hübschen grün-hellblauen Glupscher bist du geboren. Wer primär dafür ein Kompliment bekommen sollte, ist deine Mutter. Die hat nämlich dafür gesorgt, dass deine Äuglein die Welt erblicken. Sie hat jede Menge Arbeit darein gesteckt. Du hast nichts dafür getan.

Am schönsten ist doch die Anerkennung für harte Arbeit. Ein „Ich bin stolz“ von Mama oder Papa. Ein „Das hast du richtig gut gemacht“ von der Chefin oder deinen Arbeitskolleg*innen. Komplimente haben nicht immer etwas mit dem Aussehen zu tun. Einer Person Wertschätzung, Bewunderung und Respekt zuzusprechen, ist wohl das schönste Kompliment, das man machen kann.

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Es wäre allerdings gelogen, wenn ein wenig äußerliche Bestätigung nicht das Selbstbewusstsein stärkt. Wahrscheinlich wird das Aussehen von Models häufiger kritisiert als gelobt. Es ist wichtig, zu sagen, was selbstverständlich ist. Wann hast du deinem Vater zuletzt gesagt, was für ein toller Vater er ist ? Wann hast du ihn zuletzt so richtig gedrückt? Auch das ist ein Kompliment.

Wir müssen lernen, ernst gemeinte Komplimente zu verteilen und lernen, mit Lob umzugehen. „Du hast abgenommen“ ist nur eine Feststellung, kein Kompliment. Du siehst heute super aus – und sonst auch, keine Sorge.

Seid ein bisschen mehr wie die Narren an Fastnacht, verteilt Bonbons. Buono Bonbons!

Foto: Johan Godínez

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