NOIZZ.de: Suzie Grime geht mit Sklaven an der Leine im KaDeWe shoppen, stylt Rapperin Juju für deren Musikvideo und lehrt ihre Instagram-Abonent*innen Feminismus. Sie hat NOIZZ erzählt, wie die Plattform „OnlyFans“ Sexwork demokratisieren kann und was man sie bei einem ersten Date nicht fragen sollte.

Suzie Grime bezeichnet sich selbst als Mode-Journalistin, Feministin, Cannabis-Aktivistin und als „pretty bad role model“. Viel Aufmerksamkeit erregt sie auf Social Media: In ihren Highlights sieht man gelegentlich Sklaven, nackt mit Maske, die ihre Wohnung putzen und sich auspeitschen lassen.

Provokation? Die Berlinerin meint, sie sei in der Szene eher „vanilla“ unterwegs. Für weiteren, heißen Content kann man Suzie nun auch auf „OnlyFans“ folgen. Eine Plattform, auf der User*innen freizügige Fotos und Videos hinter einer Bezahlschranke teilen können.

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Warum Suzie ein Teil von „OnlyFans“ ist und was ihr Domina-Sein mit Feminismus zu tun hat, erklärt sie im NOIZZ-Interview

NOIZZ: Ursprünglich hatten wir beide ein „erstes Date“ als Interview-Format geplant. Mit welcher Frage hätte ich mich beim ersten Date ins Aus geschossen?

Suzie Grime: Wenn man eine Hobby-Domina ist, gehen Leute schnell davon aus, dass man im Privatleben und in Beziehungen genauso ist. Das Domina-Sein ist für mich aber nur ein nebenberufliches Hobby, durch das ich ein kleines Einkommen habe. Für mich ist es cooler als Kellnern – das macht einfach mehr Fun. Außerdem kann ich so keine Gläser kaputtmachen (lacht).

Wenn ich auf Tinder oder sonst wo im Dating-Prozess als Mensch – und nicht als Domina oder Only-Fans-Girl – unterwegs bin, dann ist das anders. Wenn ich den Leuten erzähle, was ich beruflich mache und was für Hobbys ich habe, dann gehen sie direkt davon aus, dass ich privat meine Partner*innen im Bett auspeitsche. Dass ich das brauche, um bei Sex einen Kick zu bekommen. Dabei ist das gar nicht so. Wenn ein Barista nach der Arbeit nach Hause geht, dann ist der auch kein Barista mehr und macht Kaffee. Ähnlich ist das bei mir.

Warum es hilfreich sein kann, sich Selbstbewusstsein anzutrainieren

Wenn ich dich richtig kennenlernen würde, wäre ich sehr nervös. Du wirkst wie die coolste Braut überhaupt und extrem selbstbewusst. Scheint das nur so?

Suzie Grime: Ich glaube, bei Selbstbewusstsein gilt das Motto: „Fake it till you make it!“ Es sei denn, man ist damit geboren. Man kann sich im Kopf manifestieren, dass man selbstbewusst ist. Und dass es Dinge gibt, auf die man stolz sein kann. Das lässt sich trainieren und lernen. Es ist ein wenig „fake“, aber es spricht doch nichts dagegen, sich eine Fähigkeit – wie Selbstbewusstsein – anderweitig anzueignen.

Wie funktioniert das, sich das Selbstbewusstsein anzutrainieren?

Suzie Grime: Authentizität spielt eine große Rolle. Für mich war es schon immer wichtig, mich mit dem gut zu fühlen, was ich repräsentiere versus was andere Leute darüber denken. Dinge, die ich tue, müssen sich für mich gut anfühlen. Als ob sie einen Sinn ergeben. Solange ich in meiner Überzeugung stehe, wird es einfacherer, die Meinung von anderen Leuten nicht mehr an sich ran zu lassen.

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Du nutzt „Onlyfans“ – eine Seite, bei der man für freizügige Inhalte Geld bekommt. Warum machst du das?

Suzie Grime: Ich finde „Onlyfans“ als Plattform sehr spannend, weil sie Sexwork demokratisiert. Beispielsweise gibt es hinter dieser Paywall auch Amateurpornos. Ich finde den Kontrast zur eigentlichen Pornoindustrie interessant, weil Darsteller*innen da nur von großen Produktionsfirmen geleitet werden. Sie bekommen wie Schauspieler*innen Skripte, die sie nachstellen müssen.

Das ist ein sehr artifizieller Kontext, in denen erotisches Bild- und Videomaterial produziert wird.

„Onlyfans“ kann diese Industrie wieder für die Darsteller*innen demokratisieren, indem sie Schreiber und Darsteller ihres eigenen Narrativ sind. Das ist ein Ansatz, den die Digitalisierung vorangebracht hat. Ähnlich bei der Mode. Ohne Social Media wäre es nicht möglich, dass auf einmal Fashion-Blogger in der ersten Reihe bei Modeshows sitzen. Die Tatsache, dass man sich durch solche Plattformen ein Platz am Tisch erarbeiten kann, ist superspannend.

Ob sich Brüste durch eine Bezahlschranke legitimieren lassen müssen

Wenn Männer sich auf Social Media oben ohne zeigen, ist das völlig normal. Bei Frauen ist die Brust hingegen sexualisiert. Auf „Onlyfans“ sind sie zu sehen, allerdings muss man dafür zahlen. Hilft diese Bezahlschranke Brüste zu „legitimieren“?

Suzie Grime: Der erste Punkt: Ich finde Frauen dürfen grundsätzlich alles mit ihrem Körper machen, was sie möchten. Egal, ob sie das umsonst tun, oder Geld dafür verlangen. Der zweite: Ich finde es supertoll, dass eine Plattform wie Onlyfans die Macht zurück in die Hände der Darsteller*innen gibt – selbst, wenn es nur ein Erotikmodel und keine Pornodarstellerin ist. Dann muss sie nicht ans Set, wo sie mit Regisseuren arbeitet, die vielleicht nicht ganz koscher sind.

Es ist ein zusätzlicher Sicherheitsaspekt. Die Repräsentation ist außerdem ziemlich wertvoll. Da kommt der Faktor Social Media mit ins Spiel – das Soziale und die Nahbarkeit zu den Menschen steht im Vordergrund. Sei es bei einem Beauty-Blogger oder einer „Onlyfans“-Darstellerin. Die Menschen sind in der Lage mit ihren Idolen, aus welcher Branche auch immer, in Kontakt zu treten.

Durch Hip-Hop ist beispielsweise die Stripper-Kultur in den Mainstream gekommen und mittlerweile eine Art cooler, angesagter Job. Rapperinnen haben so etwas selbst schon einmal gemacht. Ich denke, dass „Onlyfans“ zum richtigen Zeitpunkt kommt – indem Sexwork zwar ein Außenseiterberuf ist, sich dieses Stigma aber wandeln kann.

Du bist Feminist und Dominatrix. Muss eine Feministin immer dominant sein?

Suzie Grime: Nein. Nicht jede Feministin ist eine Domina, aber jede Domina wahrscheinlich eine Feministin. Das wäre meine Einschätzung. Feministinnen stehen dafür ein, dass sich jeder Mensch in seiner Geschlechterrolle entwickeln kann und darf. Frauen dürfen stark sein und Männer weich.

Du zeigst auf Instagram unter „Femdom“, wie Sklaven nackt mit Maske deine Wohnung putzen und deine Füße massieren. Warum sind das nur Männer?

Ich sehe das als eine feministische Perfomance-Art. Ich dominiere die Zielgruppe, die mich sonst in der Gesellschaft und im Leben dominiert. Diese BDSM-Nummer hat natürlich viel mit dem Machtspiel zu tun. Ich bin da selbst sehr „vanilla“ unterwegs, versuche aber, den Spieß auf direktem Weg umzudrehen – und das sehr radikal. So liegt mir beispielsweise der Knecht zu Füßen. Das ist als Frau eine sehr empowernde Erfahrung und ist es noch immer.

Auf einem Instagram-Foto sieht man dich mit einem Sklaven in der Leine vor dem KaDeWe. „Ich bin froh, dass ich das nicht deinen Kindern erklären muss“ steht in der Bildunterschrift. Ich bitte dich nun doch: Erkläre meinen zukünftigen Kindern, was du da machst.

Wir spielen Verkleiden. Karneval.

Und wie erklärst du das Erwachsenen?

Wenn ich danach leben würde, dass es Leute nicht cool finden, was ich mache – dann hätte ich wahrscheinlich niemals irgendetwas angefangen.

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Foto: Philipp Gladsome / Philipp Gladsome

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