NOIZZ.de: „Wenn er auf dich steht, meldet er sich schon.“ Blödsinn. Wenn dein Schwarm sich nicht meldet, muss er nicht gleich das Interesse verloren haben. Er kann vielleicht verunsichert sein, meint jedenfalls eine Beziehungsexpertin. Birgit Natale-Weber hat mit uns über die Klischees der Liebe gesprochen – und wie sie von unserer Gesellschaft beeinflusst wird.
Dabei war das Treffen doch so toll: Wenn das Date sich nach Kino, Knutschen und Knick-Knack nicht mehr meldet, zweifelt man schnell an seiner eigenen Wahrnehmung. Warum meldet er oder sie sich denn nicht mehr? Steht mein Love Interest einfach nicht mehr auf mich? Wenn jemand diese Fragen beantworten kann, dann ist es wahrscheinlich Birgit Natale-Weber.
>> Ein Plädoyer fürs Knutschen: Warum küsst sich eigentlich niemand mehr?Birgit Natale-Weber, BeziehungsexpertinFoto: privat / Natale-Weber
„Im echten Leben fällt nach dem ersten Kuss nicht die Klappe“
Sie ist seit 36 Jahren mit ihrem Mann verheiratet. Die Beziehungsexpertin aus dem Hochtaunus- und Main-Taunus-Kreis bei Frankfurt arbeitet seit vielen Jahren mit Paaren zusammen. Ihre Einstellung: „Im echten Leben fällt nach dem ersten Kuss nicht die Klappe und es folgt auch kein Abspann, sobald sich die Hauptdarsteller gefunden haben. In der Realität beginnt jetzt die echte Lovestory – mit allen Höhen und manchmal eben auch Tiefen.“ Sie hat uns im NOIZZ-Interview erzählt, was Tinder für Auswirkungen auf unsere Liebe hat – und warum wir mehr reparieren als wegwerfen sollten.
Interview mit Beziehungsexpertin Natale-Weber
NOIZZ: Viele Menschen meinen immer wieder, dass sie Schwierigkeiten haben, Gefühle zu zeigen zu zuzulassen. Ist das nur eine Ausrede, um keine Beziehung zu führen?
Natale-Weber: Gefühle haben immer etwas mit Emotionen zu tun – und die wiederum mit Erfahrungen. So können beispielsweise viele junge Frauen Probleme haben, ihre eigenen Gefühle wahrzunehmen. Das liegt unter anderem daran, dass sie etwas „wahrnehmungsgestörter“ sind. Was ich damit meine: Man hat heute sehr viele Leistungsansprüche, ist sehr beschäftigt und hat gelernt, zu funktionieren. Das fängt schon in der Schule an: Du bekommst vorgeschrieben, was deine nächsten Schritte sind und was du zu machen hast. Bei Gefühlen ist das aber ganz anders. Bei Gefühlen bekommst du nichts vorgeschrieben. Du musst auf dich selbst hören, brauchst deine eigene Wahrnehmung. Die ist aber durch Erlebtes, Evolution und Vergangenheit geprägt. Wenn man diese nicht richtig reflektiert, deuten oder einordnen kann, hat man ein Problem. Dann sagt das Unterbewusstsein: „Nein, dann lieber nicht darauf eingehen. Du weißt nicht, was auf dich zukommt.“ Und weil man das nicht weiß, geht man einen Schritt zurück und hält von Gefühlen Abstand.
Sie sagen, dass besonders Frauen Probleme hätten, Gefühle zuzulassen?
Natale-Weber: Jeder von uns hat früh beigebracht bekommen, Leistung zu zeigen und gewisse Bedingungen zu erfüllen. Frauen haben aber das Problem, dass ihnen viel aufgelastet wird. Sie sind sozialer als Männer und haben oft das Gefühl, sich um alles kümmern zu müssen: Kinder, Haushalt und vieles mehr. Das ist im Unterbewusstsein verankert. Deswegen haben gerade Frauen bei Bewerbungsgesprächen oft Probleme. Der Mann sagt einfach „ich kann das“. Die Frau versucht zunächst sich zu rechtfertigen, warum sie gut genug sein könnte. Sie haben eher Schwierigkeiten, ihr Selbstbewusstsein zu finden. Daraus resultiert Unsicherheit – und das ist mit dem Zeigen von Gefühlen verknüpft.
Um das festzuhalten: Männer und Frauen können gleichermaßen Gefühle zeigen. Durch die Evolution sind aber beide etwas anders gestrickt. Frauen sind heute viel stärker als früher. Das sind die Männer vielleicht nicht gewöhnt – oder haben eine andere Vorstellung, wie Frauen zu sein haben, beigebracht bekommen. Wenn die Herren selbst nicht gleich Gefühle zeigen, könnt es sein, dass sie etwas verunsichert sind.
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„Wenn er dich gut findet, meldet er sich“ ist eine sehr klischeehafte Aussage, die ich immer wieder hören. Stimmt das somit gar nicht?
Natale-Weber: Auf der einen Seite wollen viele Frauen einen „starken“ Mann, der „männlich“ ist. Aber dann signalisieren sie selbst so viel Stärke, dass es so wirkt, als „brauchen“ sie gar keinen Mann – erst recht nicht, um Geld zu verdienen. Da hat sich eine kleine, unsichtbare Mauer zwischen der Mann-Frau-Position errichtet.
Bei der Aussage muss man außerdem beachten: Wer das sagt, gibt automatisch die Verantwortung ab. Vielleicht weiß der Mann selbst nicht, was er machen oder wie er sich melden soll?
Das klingt, als wären wir unbewusst in Geschlechterklischees gefangen – und hätten aufgrund dessen enorme Schwierigkeiten, unsere Probleme zu kommunizieren?
Natale-Weber: Das ist der nächste Schritt: Wir müssen wieder lernen, gut zu kommunizieren. Die Frauen sind anders sozial aufgestellt, weil sie im Unterbewusstsein die „Zusammenhalter“ sind. Auch haben viele einen festen Job, müssen den Haushalt schmeißen und sich um die Kinder kümmern. Das muss heute anders ganz anders kommuniziert werden – als Paar. Wer macht welchen Part? Wie kann man dem anderen etwas abnehmen?
Tinder, Bumble, Lavoo, Partnerschaft. Wenn man so möchte, müsste ich wahrscheinlich nur jede Menge Zeit am Handy verbringen, um meinen Traummann zu finden. Das ist doch – theoretisch – super.
Natale-Weber: Ich kenne Paare, die sich auf solchen Plattformen kennengelernt haben. Letztendlich muss einem klar sein, dass das nur der erste Schritt ist. Tinder und Co. ähneln Bewerbungsgesprächen: Bei beidem versucht man sich bestmöglich zu verkaufen. Deswegen ist es wichtig, sich irgendwann auch „live“ zu treffen, um den Menschen richtig kennenzulernen. Die Energie zu spüren. Wir dürfen uns aber nicht auf die Digitalisierung verlassen. Schließlich sind wir Menschen mit Emotionen und sollten es auch bleiben. Das bekommen wir nur hin, wenn wir jemanden erleben. Deswegen ist unser soziales Miteinander so wichtig.
>> Warum es völlig okay ist, als Hetero-Mann homosexuelle Fantasien zu habenSymbolbild: CoupleFoto: Unsplash / Charlie Foster @charliefoster
Wird es für Menschen immer einfacherer oder schwieriger eine Beziehung zu finden?
Natale-Weber: Es ist generell schwieriger geworden. Das liegt aber nicht direkt an Tinder. Wir haben einfach mehr Möglichkeiten, treffen viele Menschen. Wer die Wahl hat, hat die Qual. Früher hatte man keine so große Auswahl. Da hat man sich in den verliebt, der im Nachbarort gewohnt hat. Heute bekomme ich immer wieder die Frage gestellt: Woher weiß ich, ob er oder sie die „Richtige“ ist. Diese Frage zeigt die Sorge auf, etwas „Besseres“ zu verpassen.
Auch hier noch einmal: Wir sind alle etwas „wahrnehmungsgestört“. Weil wir es nicht mehr zulassen, auf unser Gefühl zu hören. Wir haben, wie bei einer Bewerbung, bestimmte Vorstellungen im Kopf, wie er oder sie zu sein hat. Wie ein Brötchen, das wir formen und backen. Wenn wir die Brötchen aber aus dem Ofen holen, merken wir, dass sie gar nicht mehr rund sind – sondern durch das Backen Ecken und Kanten bekommen haben.
Sollte man lernen, sich mit weniger zufrieden zu geben?
Natale-Weber: Um miteinander klar zu kommen, sollte man sich zuerst fragen: Was will ich eigentlich selbst? Dann kann man schauen, wie es bei dem anderen aussieht – und sich absprechen. So schafft man Möglichkeiten und wächst in der Beziehung zusammen.
Ob man zusammenpasst, klärt sich erst, wenn man eine Beziehung führt – nicht schon vorher. Zurück zum Brötchen: Wir müssen es erst einmal probieren, um zu gucken, ob es uns schmeckt. Dann kann man es belegen. Eine Beziehung ist immer eine Entwicklung und niemals zu Ende.
In erster Linie ist es wichtig, dass man Sympathie füreinander hat, gleiche Werte teilt und auf gemeinsamer Augenhöhe ist. Darauf kann man aufbauen. Wer denkt, da kommt noch etwas „Besseres“ hat vielleicht einfach nur Angst, sich zu binden. Lernen, sich mit weniger zufrieden zu geben, ist irreführend und abwertend. Richtig wäre es zu sagen: Man sollte herausfinden, für was das „wenig“ steht.
Waren unsere Großeltern dann glücklicher, weil sie genau das gemacht haben?
Natale-Weber: Ich würde sagen: Früher hat man eher repariert. Heute schmeißt man mehr weg. Das ist bei Beziehungen ähnlich. Da fehlt die Mühe. Viele Klient*innen kommen zu mir und sagen: Hätten sie einige Dinge vorher gewusst, hätte es mit dem ersten Partner oder der ersten Partnerin funktionieren können. Wenn ein gewisses Bindungsgefühl da ist, lohnt es sich, an der Beziehung zu arbeiten.
Foto: Toa Heftiba Unsplash
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