NOIZZ.de: Du willst kein Baby? Dann kannst du entweder auf Sex verzichten oder auf Kondome vertrauen. Beides nicht deins? Du kannst natürlich auch Hormone zu dir nehmen oder eine Spirale einsetzen lassen. Depressionen und Gewichtszunahme all inclusive, die 300 Euro für die Spirale leider nicht. Warum ich Sorgen habe, die Pille abzusetzen, habe ich mit Expertinnen besprochen.

Wir haben das Jahr 2020. Flugzeuge können fliegen, 823 Meter hohe Häuser werden gebaut – aber für Frauen gibt es nach wie vor keine richtig guten Verhütungsmittel. Besser noch: Sie müssen dafür zahlen. Sie müssen sowohl dafür Sorge tragen, dass Kinder auf die Welt kommen – aber auch, dass es nicht zu viele werden. Wie kann das sein? Ich möchte mich nicht zwischen teuren Spiralen, Pickeln, einem Baby und Depression entscheiden!

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Fragen Sie ihren Arzt und so weiter und so fort

Ich nehme seit knapp fünf Jahren eine Kombinationspille namens „Bona Dea“. Warum? Mein Frauenarzt hat mir diese Pille vorgeschlagen. Damit war die Angelegenheit nach fünf Minuten erledigt. Ich mochte seine direkte Art. Kein „hast du einen Freund“, oder ähnliche unangenehme, persönliche Fragen. Die Risiken hat er mir aufgesagt. Das klang aber eher nebensächlich, wie der schnell runter gesprochene Hinweis im Fernsehen: „Bei Risiken oder Nebenwirkungen, fragen Sie ihren Arzt oder … papalapap.“

Die Pille als erstes Verhütungsmittel

Den Beipackzettel habe ich mir trotzdem durchgelesen. Von Nebenwirkungen wie Suizidrisiko, Depression und Thrombose war die Rede. Ernst genommen habe ich diese Hinweise nie. „Mir wird das schon nicht passieren“, so mein Gedanke. „Hauptsache nicht mit 19 schwanger werden!“ Aufgefallen ist mir damals nur die hellrosa Packung mit der schnörkeligen Schrift, auf der ein Diamant abgebildet ist. Mehr Gender-Klischees auf einer Packung gehen nicht? Oh doch: „Bona Dea“ ist in der römischen Religion die Göttin der Fruchtbarkeit, Heilung und Jungfräulichkeit. Spoiler vorweg: Letzteres hat sich mittlerweile erledigt. „Geheilt“ bin ich ebenfalls nicht – und auch keine römische Göttin.

Die Pille scheint für die Verhütung das einfachste Mittel zu sein. Keine Spritzen, kein Temperaturmessen und keine Operationen zum Einsetzen von Spiralen. Nur eine Pille, die man pünktlich einnehmen muss – und sogar noch das Pickelproblem löst. Als Sahnehäubchen obendrauf gibt es die hormonellen Verhütungsmittel mittlerweile bis zum 22. Geburtstag sogar umsonst. Die gesetzliche Krankenkasse übernimmt die Kosten. Klingt ein wenig wie: Nimm zwei, zahl keins.Kaffee und Donut? Gerne. Ein Babybuch will ich aber (jetzt) noch nicht.Foto: Unsplash / Fallon Michael @fallonmichaeltx

Die Vorteile und Nachteile der Pille

Der Vorteil der Pille haben sich bei mir schnell bemerkbar gemacht: große Brüste und eine fantastische Haut. Zudem musste ich mir keine Sorge machen, trotz Kondom schwanger zu werden. Kondome sind für wichtig, um sich vor Krankheiten zu schützen. Als dauerhaftes Verhütungsmittel in einer Partnerschaft sind mir Gummis jedoch zu unsicher.

Neben äußerlichen Vorteilen gab es mit Einnahme der Pille auch keine unerwünschten Blutungen. Keine Babys. Keine Pickel. Keine Schwangerschaftssorgen? Geil! Dafür aber jede Menge Nachteile: Ich bin aufgegangen wie Kugelfisch. Ich war nie dick, aber etwas aufgedunsen. Ab und zu wird mir nach wie vor schwarz vor Augen, ich verliere viele Haare – und vor allem: Ich habe krasse Gefühlsschwankungen.

Meine schlechten Phasen habe ich bisher immer auf Stress geschoben: Klausuren, Arbeit und andere kleine Probleme. Mein Hausarzt hat mich nie gefragt, ob ich die Pille nehme. Nur, wenn es um die Einnahme von Antibiotika ging. Stress: Die Ursache für alles. Momentan habe ich aber keinen Stress. Es geht mir, eigentlich, richtig gut – und trotzdem bin ich zu bestimmten Zeiten wahnsinnig empfindlich. Manchmal fange ich an zu weinen. Grundlos. Doch liegt das nur an der Pille?

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Andere Frauen machen Mut

Das erste Mal mit den Problemen der Pille konfrontiert, wurde ich bei einem Beitrag von „Spiegel TV“. Dabei wurde unter anderem Hannah Bohnekamp gezeigt. Die Ex-„Germanys next Topmodel“-Teilnehmerin hat offen über das Absetzen von Hormonen gesprochen. Heute dreht sie YouTube-Videos über ihre Erfahrungen mit der Pille und was sie gegen Hautunreinheiten macht. Die haben sich, so die Influencerin, nach dem Absetzen der Hormone nämlich sehr verschlechtert. Ähnlich wie andere Frauen erzählt Hanna aber auch, wie gut es ihr nach dem Ende der Pille ergangen ist. Sätze wie „seitdem bin ich ein neuer Mensch“ höre ich immer wieder. Und dass man plötzlich mehr Lust auf Sex hat, als vorher. Klingt verlockend?

„Pille gleicht schlecht“ hat sich mittlerweile in meinem Kopf so eingebrannt wie „Pille gleich bestes Verhütungsmittel“. Ich will keine kleinen Depressionen, keine Akne – aber auch kein Baby. Letzteres zumindest jetzt nicht. Alle Alternativen haben Nachteile. Die Spirale ist ein Fremdkörper, muss länger drin bleiben und kostet viel Geld. Andere Mittel haben auch Hormone – und die will ich nicht. Kondome sind mir zu unpraktisch und zu unsicher. Ähnlich geht es mir mit dem Temperatur messen – zumal ich davon nicht viel gehört habe. Was denn nun?

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12 Minuten für eine wichtige Beratung – geht´s noch?

Um mich besser zu informieren, möchte ich einen Termin bei meiner Frauenärztin machen. Der nächstmögliche Zeitpunkt: in einem Monat. Für die Beratung nimmt sich die Frauenärztin wahrscheinlich nur knapp 12 Minuten Zeit. Mehr bekommen Ärzt*innen von gesetzlichen Krankenkassen wohl nicht bezahlt.

Wie. Zur. Hölle. Kann. Das. Sein. Es geht um meine Gesundheit. Darum, dass „Suizid“ und „Thrombose“ auf den Nebenwirkungen der Pille steht – und dass ich kein unerwünschtes Kind in die Welt setzen will. Mir fehlen nicht nur gute Verhütungsalternativen, sondern auch Informationsmöglichkeiten. Natürlich kann ich alles im Internet lesen und recherchieren. Wozu gibt es denn aber noch Psycholog*innen, oder Ärzt*innen?

Hormon-Expertinnen im Interview

Nach ein wenig Recherche bin ich auf die Plattform „Generation Pille“ gestoßen. Eine Seite rund um die Frauengesundheit – mit Spezialistinnen, die Aufklärungsarbeit leisten. Mit zum Team gehören unter anderem die 32-jährige Lisa Allersmeier und die 31-jährige Sina Oberle. Lisa ist Hormon-Coach und Ernährungsberaterin, sowie Darmgesundheitsberaterin und Stress-Therapeutin. Sina Oberle ist ebenfalls Ernährungs-, Hormon- und Health Coach. Sie hat außerdem ein Buch zum Thema veröffentlicht: „Hautklar: Das Buch für eine reine Haut nach dem Absetzen der Pille“. Die beiden Frauen haben mit mir das Gespräch geführt, dass ich mir von meiner Frauenärztin gewünscht hätte:

NOIZZ: Ich werde immer wieder beeinflusst. Vor fünf Jahren wurde mir eingeprägt, die Pille sei die beste und einfachste Verhütungsmethode. Jetzt bekomme ich immer wieder mit, wie schlecht sie ist. Bilde ich mir vielleicht nur ein, dass die Pille Schuld an meinen schlechten Phasen hat?

Sina: Für mich ist es wichtig, dass Frauen verstehen, wie die Pille funktioniert. Das ist ein synthetisches Medikament, das die eigene Körperproduktion der Sexualhormone ersetzt. Wenn mir das bewusst ist und ich weiß, dass ich damit klarkomme – dann ist das ein Pro für die Pille. Man muss aber auch ganz klar dazu sagen: Wie viele Frauen kennen sich überhaupt ohne Pille? Wenn man, wie ich, mit 14 Jahren mit der Pille angefangen hat, ist das schwierig zu beurteilen. Ich habe keine Ahnung, wie ich mich ohne sie entwickelt hätte, weil die Pille so intensiv in den Sexualhormonhaushalt eingreift – und das auf viele Bereiche. Nicht nur auf die Haut, oder die Haare. Sie wirkt auch auf unsere Gefühle, Entscheidungen und Emotionen. Das ist ein sehr wichtiger Punkt, der uns bewusst sein muss. Wenn ich das als Frau hinterfrage, sollte ich das ohne Pille mal „ausprobieren“ – sonst bekommt man nie den Vergleich.Lisa Vienna AllersmeierFoto: privat / privat

Wenn ich wissen will, wie sich mein Körper sich ohne Hormone anfühlt – wie lange dauert das, bis er sich an das Absetzen gewöhnt? Ein halbes Jahr?

Sina: Bei mir hat es eineinhalb Jahre gedauert. Bei anderen dauert es vielleicht nur drei Monate – oder sie fühlen sich direkt super und haben gar keine Probleme. Das mit dem „Ausprobieren“ ist überspitzt. Genau das sollte man vermeiden. Wenn der Körper Beschwerden aufweist, sollt man nicht direkt wieder die Pille nehmen. Viele Frauen kommen in einen Prozess der Weiterentwicklung. Wenn ich fünf Monate lang die Hormone abgesetzt habe, entdecke ich wahnsinnig viel Neues über mich. Dann lerne ich, mich aktiv um meine Beschwerden zu kümmern. Dann kann ein sehr schöner Prozess sein, sich selbst kennenzulernen. Dieses Bewusstsein muss man aber erst einmal schaffen.

Eine Garantie, dass es mir ohne Pille besser geht, habe ich aber nicht. Nur die Sorgen, dass meine Brüste kleiner werden und ich Pickel bekomme. In einer Beziehung muss ich aber trotzdem verhüten – was denn nun?

Lisa: Das Problem ist, dass viele Frauen verunsichert sind. Bei vielen tritt irgendwas auf, sobald sie die Pille absetzen. Das ist aber bei jedem unterschiedlich. Wo man auch dran denken muss: Diese Symptome, die der Körper zeigt – unreine Haut, Stimmungslage – dann ist das nur ein Zeichen vom Körper, dass er Unterstützung braucht. Du musst dann vielleicht ein paar Gewohnheiten verändern – wie beispielsweise in der Ernährung. Der Körper kann das alles und ist darauf ausgelegt, einen Zyklus zu bilden. Man hat dem Körper mit der Pille – über Jahre – immer die Arbeit abgenommen. Jetzt braucht er erstmal Zeit, um wieder in die Spur zu kommen. Da muss man geduldig sein.

Außerdem gibt es mehrere Verhütungsmethoden. Da muss man für sich die richtige finden. Ich würde persönlich dann aber auch von anderen hormonellen Verhütungsmitteln abraten.Sina OberleFoto: privat / Sina Oberle

Dann gebe es unter anderem noch die Kupferspirale. Mir wurde aber schon mehrfach gesagt, dass die Spirale beim Sex etwas weh tun kann.

Sina: Klar, das ist ein Fremdkörper. Deswegen ist das professionelle Einsetzen wichtig. Da würde ich mich wirklich beraten lassen, was zu einem passt. Schließlich gibt es nicht nur die Spirale, sondern auch die Kupferkugel,- Ball oder Kette. Wer Probleme hat, sollte definitiv noch einmal zum Frauenarzt gehen. Vielleicht ist der Körper nicht dafür ausgelegt – oder sie wurden nicht richtig eingesetzt.

Lisa: Manche Frauenärzte messen gar nicht aus, ob das passt. Wenn das vielleicht gar nicht für den Körper gemacht ist, kann man diese Spirale spüren.

Dann komme ich zum nächsten Problem. Frauenarzt-Praxen sind meistens ausgebucht. In Großstädten wie Berlin muss man sich wahrscheinlich schon glücklich schätzen, überhaupt einen Platz zu bekommen. Sogar meine Praxis, in einem ruhigen Dorf, hat erst wieder in einem Monat einen Termin frei. Ich brauche doch jemand, der mir akut hilft?

Sina: Wir haben ein riesengroßes Kassenproblem. Die Frauenärzte kann man gar nicht schuldig sprechen. Die bekommen wenig Budget und vor allem wenig Zeit, um ihre Patienten richtig zu betreuen. Selbst wenn man sich als Frauenärztin eine Stunde Zeit nehmen will – das kann niemals so abgerechnet werden. Ich glaube sie hat nur 12 Minuten Zeit. Deswegen haben wir heute das Problem mit der Pille. Das ist eine schnelle Sache – alle Beschwerden (Verhütung, Menstruationskrämpfe, Akne) sind gelöst.

Wenn Ärzte sich trotzdem mehr Zeit für dich nehmen, zahlen sie das aus eigener Tasche. Sich über Pillen-Präparate zu informieren, wird von der Pharmaindustrie bezahlt. Andere Fortbildungen, wie beispielsweise zu NFP (natürliche Familienplanung), eher nicht.

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Warum wird trotzdem immer als Erstes die Pille vorgeschlagen, wenn es so viele Alternativen gibt?

Sina: Jede Praxis empfiehlt etwas anderes. Mit der Pille sind aber, wie gesagt, die meisten Probleme sofort gelöst. Was das aber alles auslöst, ist ein richtiges Problem: Sie nimmt mir Pubertäts- und Entwicklungszeit, die Libido geht den Bach runter und das Thromboserisiko steigt. Da haben wir meiner Meinung nach ein richtiges Problem. Zumal über 150 mögliche Beschwerden auf dem Beipackzettel stehen – wie Suizid und Depression. Das ist ein Skandal.

Wie kann die Aufklärung über Verhütung besser laufen?

Sina: Mehr Aufklärung in der Schule. Beispielsweise hat „proFamilia“ nur begrenzt Zeit. In dem Schulsystem ist es gar nicht vorgesehen, dass wir über verschiedene Verhütungsmethoden ausreichend informiert werden. Dazu kommt: Die Mädels nehmen die Pille und kein Junge macht sich mehr Gedanken über Geschlechtskrankheiten. „Kondom ist irgendwie doof – und sie verhütet dich eh schon.“ Ich würde mir wünschen, dass das Kassensystem mehr Zeit und Budget für die Frauenärzte zur Verfügung stellt. Damit sie sich weiterbilden können. Das sollte zur Grundausbildung gehören.

Lisa: Frauen und Müttern können auch Schulungen angeboten werden. Da gibt man zwar die Verantwortung ab – aber im Endeffekt muss das jeder für sich ausmachen. Hinzukommt: Je weniger Frauen die Pille nehmen, umso weniger Nebenwirkungen gibt es. Ich hatte beispielsweise zwei Thrombosen. All diese Kosten hätte die Krankenkasse vermeiden können.

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Foto: https://noizz.de/meinung/pille-absetzen-warum-ich-angst-davor-habe-im-interview-mit-experten/1457ely

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