NOIZZ.de: Birgit Klinner ist Kuscheltrainerin. Sie erklärt im NOIZZ-Interview, warum auf Kuscheln nicht immer Sex folgen muss, wie wichtig Berührungen in Zeiten von Corona sind – und wie ein Kuschelworkshop online abläuft.

Birgit Klinner ist Heilpraktikerin für Psychotherapie. In ihrer Praxis in Berlin bietet sie unter anderem ganzheitliche Massagen, heilsame Berührungen und Krisengespräche an. Die 52-Jährige hat 2019 zudem eine Ausbildung zur Berührungs- und Kuscheltrainerin gemacht. Die Workshops und Partys, bei denen Leute gemeinsam kuscheln, finden in Freiburg und in Berlin statt. Seit Corona auch online. Im NOIZZ-Interview erzählt Birgit Klinner, was man „lernt“ – und inwiefern das alles mit Sex zusammenhängt.

NOIZZ: Kuscheln und Sex – wie hängt das zusammen?

Birgit Klinner: In meiner ersten Lebenshälfte hatte Kuscheln immer mit Sex zu tun. Mir wäre nie in den Sinn gekommen, eine Freundin zu fragen, ob sie, eng an meinen Körper geschmiegt, nur liegen möchte. Bei Männern habe ich hingegen nie geglaubt, dass es einfach beim Kuscheln bleiben kann. Ich kannte Kuscheln bisher nur aus Beziehungen oder Affären. Es war immer wie eine Art Vorspiel. Seit ich Selbsterfahrungs- und körperorientierte Seminare mache, weiß ich, dass Sex nicht auf Kuscheln folgen muss.

Bei den Kuschelpartys ist das Besondere, dass es dafür extra Regeln gibt: keine Erotik, keine Berührung von erogenen Zonen, keine Küsse. Natürlich kann es passieren, dass erotische Energie auftaucht. Das ist gut und richtig. Aber als Kuscheltrainerin bitte ich die Menschen, nichts damit zu tun und wieder in die heilsame, nährende Kuschelenergie zurückzufinden. Das stört auf der Party sonst auch die anderen. Einmal kam es vor, dass sich zwei offenbar gesucht und gefunden hatten – die sind dann mittendrin aufgestanden und zusammen nach Hause gegangen. Ich selbst habe mich früher als Teilnehmerin auch schon mal mit Männern nach der Kuschelparty privat verabredet.

Diese geborgene Kuschelenergie – wo du dich fühlst, wie bei deiner liebsten Vertrauensperson auf dem Schoß – soll aber beibehalten werden. Diese Geborgenheit, der „alles ist gut“-Moment ist sehr wichtig. Kuscheltrainer wie ich schauen, dass sich jeder an diese Regel hält. Wenn wir merken, dass sich PartnerInnen küssen, sprechen wir sie an. Jeder soll sich wohlfühlen. Keiner sollte die Sorge haben, ungewollt angefasst zu werden.

Birgit Kleiner
Portrait Birgit Klinner – Kuschelexpertin Foto: privat / Birgit Klinner

Was lernt man in einem Kuschelworkshop?

Birgit Klinner: Man lernt nicht so, wie wir lernen gewohnt sind. Es ist eher Selbsterfahrung, Körpererfahrung, Grenzen spüren und diese zu kommunizieren. Herausfinden, was mir guttut, was ich mir wünsche. Hier kann ich ganz authentisch sein mit meinen Gefühlen und auch meinen Ängsten: so sein, wie ich bin. Ich kann weinen, lachen, tanzen und wild sein. Es entsteht ein Raum, in dem ich mich sicher und aufgehoben fühle.

Vielleicht lernt man das erste Mal in seinem Leben, zu kuscheln – ohne dabei an Sex zu denken. Seit ich auf Kuschelpartys gehe, habe ich auch Leute kennengelernt, mit denen ich mich auch mal privat treffe, um einfach zu kuscheln. Früher wäre ich niemals auf so eine Idee gekommen. Ich finde weniger, dass man in einem Workshop etwas „lernt“ – sondern viel mehr, dass man etwas erfährt. Ich erfahre meinen Körper.

Warum braucht der Mensch körperliche Berührungen?

Birgit Klinner: Die Haut ist ein wichtiges Sinnesorgan. Langsame Berührungen und Gehaltenwerden beruhigen uns. Das kann man schon bei Babys beobachten. Bei nährender Berührung wird das Glückshormon Oxytocin ausgeschüttet. Wenn jemand Sex mit mir haben will und mich nur deswegen streichelt, ist das oft nicht wirklich nährend. Genauso wenig, wenn ich mein Kuschel-Gegenüber nicht mag, oder nicht riechen kann. Man muss sich schon wohlfühlen. Wird Oxytocin ausgeschüttet, mindert das Stress, Angst und Schmerzen. Das ist sogar nachgewiesen.

Babys, die nicht berührt werden, sterben. Frühchen im Brutkasten, die eine Berührungstherapie bekommen, wachsen doppelt so schnell. Ein Unfallkrankenhaus in Berlin setzt (auch) Berührungen und Handauflegen ein, und PatientInnen heilen schneller.

In Zeiten von Corona hat aber nicht jede*r eine*n Kuschelpartnerer*in. Was kann man selbst machen, um dieses Gefühl zu erzeugen?

Birgit Klinner: Ich habe einen Podcast gemacht: „Anleitungen, um sich selbst zu berühren“. Der erste Tipp ist das anzuhören. Der zweite: sich gemütlich hinzusetzen, Massageöl zu erwärmen – vielleicht in einem Wasserbad – und dann den ganzen Körper, jede einzelne Stelle, damit lange zu massieren. Alle Sachen, die ablenken, sollten ausgeschaltet werden. Es geht darum, seinen eigenen Körper zu erfahren, sich Zeit zu nehmen – und sich so zu berühren, wie man es sich von einem anderen Menschen wünschen würde.

Da wir selbst gerade keine Kuschelpartys machen dürfen, finden die online statt. Das hilft auch.

Wie läuft eine Kuschelparty online ab?

Birgit Klinner: Die Leute freuen sich, wenn sie sich online wiedersehen. In separaten Chaträumen kann man mit Leuten reden. Bei den Kuschelpartys selbst wird nicht viel geredet – da fokussieren wir uns auf Berührungen. Deswegen ist es nett, sich auch mal online auszutauschen. Am Anfang gibt es, wie bei der echten Party, Atemübungen, um ganz bei sich und in seinem Körper anzukommen. Und dann wird getanzt.

Schaut man sich die Fotos von euren Workshops auf eurer Homepage an, scheinen die Teilnehmer*innen alle älter zu sein. Kuscheln nur erwachsene Leute?

Birgit Klinner: Ich selbst habe mit Ende 30 angefangen, solche Kurse zu besuchen. Das liegt wahrscheinlich daran, dass die Familienplanung bereits abgeschlossen ist und man andere Sorgen hat. Wenn man ein wenig älter ist, merkt man vielleicht, dass etwas im Leben fehlt. Auch dabei können Kuschelworkshops helfen. Ich denke, dass man mit 20 oder 30 einfach andere Prioritäten hat wie Berufsfindung und Familienplanung.

Foto: Chad Madden@chadmadden / Unsplash

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