NOIZZ.de: Medusa Stoner ist Künstlerin und leidet unter psychischen Störungen. Ein Problem, auf das die Regierung ihrer Meinung nach gerade jetzt zu wenig eingeht: Therapeuten hätten keine Kapazitäten mehr, bei der Telefonseelsorge gehe niemand ran. Sie macht sich Sorgen – um sich und andere.
Auf Instagram geht Medusa Stoner offen mit ihren Problemen um. Das gibt ihr und anderen Kraft, sagt sie. Gerade in Zeiten von Corona sei gegenseitige Hilfe sehr wichtig. Von PolitikerInnen käme davon viel zu wenig. Die Künstlerin hat NOIZZ erklärt, warum sie von der Regierung enttäuscht ist – und psychische Probleme in Quarantäne noch schlimmer sind.
Achtung: Triggerwarnung! Wenn du selbst depressiv bist, Suizid-Gedanken hast, kontaktiere bitte umgehend die Telefonseelsorge (www.telefonseelsorge.de). Unter der kostenlosen Hotline 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhältst du Hilfe von Beratern, die Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen können.
“Mein Künstlername ist Medusa Stoner und ich habe, seit ich ein junges Mädchen bin, eine „Borderline“-Störung. Dazu wurde bei mir vor Kurzem eine histrionische Persönlichkeitsstörung diagnostiziert. Borderline bedeutet, dass ich Schwierigkeiten habe, meine Emotionen zu regulieren. Ich fühle nur schwarz-weiß: Entweder ist meine Laune bei 0 oder 100. Eine histrionische Persönlichkeitsstörung kommt damit oftmals zusammen. Dann wird man sehr schnell theatralisch. Das ist wie ein Zwang, der mit Herzrasen anfängt. Ich mache das häufig nur noch schlimmer, indem ich mich in meinem eigenen Leid wälze. Weil ich denke, dass ich das nicht anders verdiene. Das ist eine Art Selbstzerstörung. Zu diesen Persönlichkeitsstörungen gehört unter anderem die Angststörung.
Social Media kann bei psychischen Störungen helfen – durch gegenseitige Unterstützung
Ich gehe auf sozialen Medien offen mit meinen Problemen um. Es ist für mich wichtig, zu wissen, dass jemand nachempfinden kann, was ich durchmache. Zudem will ich meine Krankheiten verstehen und dagegen ankämpfen. Dafür muss ich sie aber zuerst akzeptieren und sagen: Okay, ihr seid nun mal hier. Es ist wichtig, dass mehr Menschen verstehen, dass sie nicht allein sind – und sich im Notfall auch bei mir melden können. Zusammenhalt ist alles.
Ich schreibe vor meine Posts und Stories aber immer „Trigger“-Warnung, das ist wichtig. Nehmen wir mich als Beispiel: Ich kann bestimmte Filme nicht sehen, in denen ich mich wiederfinde. Weil ich die Situation (zu gut) nachempfinden kann. Weil ich selbst in einer ähnlichen Opferrolle gesteckt habe. Texte, Musik, Wörter, oder nur ein Geruch – all das kann alte Erinnerung auslösen. Posttraumatische Belastungsstörungen kommen immer wieder auf. Wenn es schlimm ist, kann man auch wieder komplett in die alte Situation zurückfallen. Da ich selbst weiß, was bestimmte Dinge auslösen können, möchte ich die Verantwortung tragen und davor warnen. Sei es bei sexueller Gewalt oder Drogenkonsum – ganz egal.
Auf Instagram habe ich meine FollowerInnen gefragt, wie sie mit der aktuellen Situation umgehen. Am Anfang war ich über die Kontaktsperre ziemlich froh. Mir konnte keiner sagen: Geh trotzdem mal raus, mach was. Aber da alles um mich herum leiser wurde, wurde es in meinem Kopf lauter. Normalerweise hätte ich mich ablenken können. Ich bin in der Isolation aber meinen Gedanken komplett ausgeliefert. Das sind zu viele Dinge, die ich noch gar nicht verarbeiten kann. Teilweise ging es meinen FollowerInnen ähnlich oder sogar schlimmer.
Die Regierung kümmert sich zu wenig um die Psyche der Menschen
Die Regierung macht sich viel zu wenig Gedanken. Ich bin echt enttäuscht. Meiner Meinung muss man eine Alternative finden. Ich lese immer wieder, dass Leute keinen Therapieplatz mehr finden. Ich selbst hatte nach meinem dreimonatigen Psychiatrieaufenthalt einen Übergangstherapeuten. Der hat momentan aber keine Kapazitäten mehr für mich. Ich habe vorgestern Nacht die Telefonseelsorge angerufen, weil ich einen schweren Zusammenbruch hatte. Ich bin rückfällig geworden. Es ist aber keiner an das Telefon rangegangen. Ich bin direkt zum Anrufbeantworter weitergeleitet worden. Es gab nicht mal mehr eine Warteschlange.
Es kann nicht sein, dass es keine Kapazitäten mehr gibt. Ich habe Angst, dass sich jemand etwas antut. Wie hoch wird die Selbstmordrate sein? Ob der Therapeut entscheidet, wem am ehesten geholfen werden muss und kann – das weiß ich nicht. Ich schreibe heute wieder zehn an und hoffe auf Rückmeldung. „Wir“ werden aber im Stich gelassen. Ich weiß, dass die physische Gesundheit enorm wichtig ist – vor allem in Zeiten von Corona. Aber was ist denn mit der Psyche?
Es ist ein großes Problem, dass viele Therapeuten „privat“ arbeiten – damit meine ich die Krankenkasse. Menschen, die nicht so gut versichert sind, haben somit ein Problem. Es gibt zu wenig Plätze. Und teilweise ist ein Job in der Psychotherapie eine sehr undankbare Arbeit.
Es braucht Face-To-Face-Kommunikation, keine Videogespräche
Ich bin mir unsicher, wie die Regeln zur Kontaktsperre bezüglich Therapiesitzungen lauten. Es gibt mittlerweile wohl ein Video-Chat-Programm für Psychologen und wenige Face-to-Face-Gespräche. Letzteres finde ich sehr wichtig, trotz der aktuellen Lage. Im psychologischen Bereich spielt die Körpersprache eine große Rolle. Das kann man per Telefon und im Videochat nicht so gut nachvollziehen, wie in echt. Genauso wenig die Tonlage.
Momentan lebe ich in einer Wohngemeinschaft, das ist sehr hilfreich. Freunde, die einen mal in den Arm nehmen, oder mit einem reden, sind viel wert. Ansonsten hätte ich mich schon längst selbst eingewiesen. Das geht. Dann muss man in die Rettungsstelle und ganz ehrlich sagen, was los ist. In der Klinik, in der ich war, gab es dann eine Krisenintervention. Die dauert knapp zwei Wochen und je nachdem wird die Therapie dann verlängert.
Man kann Leid von anderen nicht nachempfinden. Ich habe aber „das Glück“, Freunde zuhause zu haben und meine Situation sehr gut zu reflektieren und rechtzeitig zu reagieren. Andere können das vielleicht nicht. Es muss definitiv mehr gemacht werden.“
Foto: HeldenARTig
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