NOIZZ.de: Pizza statt Entrecôte? Drei Tage im Jahr darf man einfach mal das machen, was wirklich glücklich macht. Dabei sollte man nicht nur an andere, sondern auch an sich denken. Ein Meinungstext:

Weihnachten ist ein Influencer, ein Heuchler. Wir sind die Follower und wollen der vermeintlichen Perfektion nacheifern. Wir sehen Fitness-Blogger und machen Sport, um so auszusehen, wie sie. Wir sehen die Edeka Werbung und kaufen Entrecôte für das drei Gänge-Menü an Heiligabend. Warum? Weil wir glauben, dass es sich so gehört. Social Media, Werbung, Politik und Gesellschaft geben uns vor, wie unser Leben zu sein hat – unser Körper, unsere Beziehung, unsere Feiertage. Bei all den Bemühung dem nachzueifern, vergessen wir, uns selbst gerecht zu werden. Weihnachten ist versteckte Werbung. Im Gegensatz zu Pamela Reif muss der Nikolaus aber nicht alles mit „Anzeige“ und „Gesponsert von“ kennzeichnen. Vielleicht würde es den Konsumenten dann aber klar werden: Pamela Reif ist nicht nur Instagram-Userin, sondern ein Werbegesicht. Weihnachten ist nicht nur das Fest der Liebe, sondern vor allem Kommerz. Schluss mit der Influencerei, Schluss mit der Beeinflussung. Wir haben verlernt, Weihnachten zu genießen. Wir haben verlernt, das zu tun, was uns wirklich glücklich macht.

Wer sein Freundschaftsbuch aus Kindheitstagen durchblättert, liest nirgendwo das Wort „Entrecôte“ – sondern Pizza und Spaghetti „Bolonäse“. Die Schüssel mit dem restlichen Waffelteig auszulutschen war das Beste der Welt. Vorausgesetzt, Mama hat es erlaubt. Warum dann nicht einfach mal Keksteig an Heiligabend servieren? Nichts gegen Entrecôte und ein bis vier, fünf Schlückchen Rotwein Chateau Lafite-Rothschild (Ja, ich musste den teuren Suff googeln.) Viele haben große Freude, ein üppiges Weihnachtsmahl zu servieren. Und ja, dabei kann schon manchmal eine Geschmacksbombe im Mund explodieren – an dieser Stelle Props an meine Mutter. Was ich aber eigentlich sagen wollte: Wir waren als Kind auch glücklich, mit weniger. Weil uns noch nicht eingeprägt wurde, das französisch-fancy klingendes Essen an Festtagen serviert werden muss. Wer das ganze Jahr über schon genügend Stress hat, der soll Weihnachten entspannen. Bestellt Pizza, das ist auch geil. Keiner sollte verpflichtet sein, sich in den Feiertagen in Sternekoch Johann Lafer zu verwandeln. Wer französisch-fancy klingendes Essen liebt, der soll es essen. Wann immer er möchte, das ganze Jahr über – und nicht nur an Feiertagen.

Das Essen zeigt: Nur allein das große Festmahl zuzubereiten, ist mit jeder Menge Stress verbunden. Wir machen uns selbst Druck. Wir sehen andere Familien und glauben, dass sie glücklicher sind als wir. Da hocken sie zusammen, in der IKEA- und Edeka-Werbung, die Oma und der Opa, Cousine und Cousins, Schwester, Bruder, Mama, Papa und der brave Schäferhund. Der Rudi, der natürlich keine Leine braucht, weil er der Beste in der Hundeschule war. Das Konstrukt einer perfekten Familie ist völliger Blödsinn. Jeder hat seine kleinen und großen Probleme. Jeder! Der Rudi bellt, die Oma meckert, der Vater ist genervt. Dabei sollte doch alles perfekt sein und jetzt gibt es Streit – Weltuntergang olé! Und dann noch die typischen Diskussionsfragen: „Wann heiratet ihr eigentlich und wie sieht ihr das mit der aktuellen Politik?“ In einer großen Familie, mag sie noch so schön sein, gehören Auseinandersetzungen dazu. Das ist okay. Hört auf, euch so ernst zu nehmen und unter Druck zu setzen. Stress entsteht, wenn man sich selbst Stress macht. Das perfekte Weihnachten sieht bei jedem anders aus.

Meine Familie ist meine Mama und die ist die ganze Verwandtschaft in einer Person zusammen. Unser Hund war nicht in der Hundeschule, hat keine Zähne mehr, verliert überall Haare und ist gerade Mal 23 Zentimeter groß: Eine Chihuahuadame namens Prada. Für beide bin ich sehr dankbar. Ob Mama weiß, wie glücklich ich bin? Es ist sicher schön, eine große Familie zu haben – doch schätze ich unser kleines, gemütliches Weihnachtsfest sehr und würde mit niemanden tauschen wollen. Wir machen uns schick, gehen frühstücken, dann wieder nach Hause und schauen Netflix. Wir entspannen. Wir machen das, was wir wollen: drei Tage Hochleistungschillen. Wir müssen nirgendwo hinfahren, Tausende Geschenke besorgen und immer das Richtige sagen. Wenn wir 4 Blocks durchsuchten wollen, suchten wir 4 Blocks. Wenn wir Chips in Schlabberklamotten essen wollen, dann machen wir das. Wir öffnen die Geschenke, wann wir es wollen und ja, der kleine Hund bekommt Essen vom Tisch! Weil es uns glücklich macht – und sie sowieso.

Keksteig gibt es übrigens auch. Aus dem entstehen dann Pignolikipferl, aus Pinienkernen. Wieder so ein fancy Wort. Alles kann, nichts muss. Mama verwandelt sich gerne Johann Lafer und ihr Essen schmeckt genauso gut. Ob ich nach den Feiertagen ein paar Kilogramm mehr wiege? Interessiert mich nicht, Social Media! Kopf aus, Ofen an. Drei Tage im Jahr darf man einfach mal das machen, was wirklich glücklich macht. Dabei sollte man nicht nur an andere, sondern auch an sich denken. Ob sich das alles so gehört, dick macht, nicht christlich oder festlich genug ist – egal! Feiertage sind zum Genießen und Entspannen. Perfektion ist individuell.

Foto: Matthew Henry /Unsplash – Symbolbild

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