NOIZZ.de: Regen prasselt an das Flugzeugfenster, Blitze und Donner lassen den Himmel beben – und mein Sitznachbar erklärt mir in aller Gelassenheit Schweizer Schimpfwörter. „Gopferdelli!“ sei ein Ausruf der Empörung. Ein „Habasch“ eine unfähige Person. EasyJet ist so ein Habasch.
Seit über vier Stunden hocke in einem unterkühlten Flieger fest, der wegen des Unwetters nicht losfliegen kann. Er hätte um 21.04 Uhr starten sollen, von Berlin-Tegel nach Basel. Jetzt können wir nicht einmal aussteigen. Das Bodenpersonal von der Fluggesellschaft möchte die Rolltreppe nicht an unser Flugzeug anbringen. Zu groß sei die Angst, dabei von einem Blitz getroffen zu werden.
Doch was nun? Warten. Hoffen. Ärgern. EasyJet beweist: Sobald es zu Abweichungen und Notsituationen kommt, ist das Flugunternehmen überfordert – wie sich in den vor mir liegenden 17 Horror-Stunden zeigen wird. Gopferdelli!
4 Stunden im Flugzeug
Ich, der Schweizer, Urlauber, Mütter und Geschäftsleute sitzen im Flieger fest. Schlafen ist nicht möglich, aus Angst, wichtige Informationen zu verpassen. Mein Sitznachbar erklärt mir nach weiteren Schimpfwörtern, dass wir ein Hotel gestellt bekämen und es einen Ersatzflieger geben würde. „Ich habe das schon mal erlebt“, sagt er. „Allerdings braucht die Crew zehn Stunden Pause. Das ist Gesetz.“ Damit scheint er mehr zu wissen als die Flugbegleiterinnen.
Anstelle von Informationen gibt es Snacks, Getränke und Entschuldigungen. „Wir können das Wetter auch nicht ändern“, sagt eine Stewardess. „Wir machen alles step by step.“ Was fehlt, sind Informationen – damit man Freunden, Familie und Arbeitgeber Bescheid geben oder im Notfall einen Zug buchen kann. Da es diese Informationen nicht gibt, wird sich beschwert. Es herrscht Unruhe. Erst nach ein paar Stunden folgt – nur bei einem Teil der Passagiere – eine E-Mail mit Anweisungen:
„Dieser Flieger wird nun am darauffolgenden Tag um 14 Uhr abfliegen. […] Unser Bodenpersonal wird Hotelzimmer für den Abend arrangieren und Sie zu ihrem Hotel bringen. Bitte organisieren Sie nicht ihre eigene Unterkunft, oder Transport, bevor Sie mit unserem Bodenpersonal gesprochen haben“, heißt es. „Wenn Sie Ihre eigenen Vereinbarungen treffen, wobei wir diese für Sie hätten erbringen können, können wir Ihnen die Kosten nicht erstatten.“
Das alles wird auf Englisch kommuniziert. Für viele Passagiere ein sprachliches Hinderniss. Erst als einer von ihnen die Flugbegleiterin auf die E-Mail aufmerksam macht, erklärt sie es für alle.
Um 2 Uhr morgens, fünf Stunden nach dem geplanten Abflug, verlassen wir den Flieger. Keine 20 Meter trennen uns vom Flughafen – trotzdem werden wir mit dem Bus gefahren, auf den wir wieder warten müssen.
13 Stunden am Flughafen
Da stehen wir unter grellem Licht am Flughafen Tegel: verschwitzt, genervt – und alleine. Keine Mail mit Informationen. Kein Bodenpersonal von EasyJet. Ein Mann in gelber Weste meint nur, dass das zuständige Personal erst wieder um 6 Uhr morgens zur Arbeit kommt. Das Gepäck muss bis dahin im Flugzeug bleiben. Man solle warten.
Eine Stunde. Zwei Stunden. Drei Stunden. Vier Stunden vergehen. Während ich an meinen Kaffee nippe, sehe ich mit müden Knopfaugen einen Haufen Menschen vor dem EasyJet-Schalter rumpöbeln. Zwei Mitarbeiter scheinen etwas zu erklären. Ich laufe hin, verstehe aber nichts. „Lauter, lauter!“, schreit eine Frau. „Auf Deutsch! Ich verstehe nichts!“, eine andere.
Der EasyJet-Mitarbeiter sagt, er sei auch genervt. Da aber nicht jeder das gleiche Reiseziel hat – unter anderem sind wohl auch die Flüge nach München und Venedig ausgefallen –, herrscht Chaos. Der Mitarbeiter erklärt, dass nun ein Hotel bereitgestellt sei. Die Fahrt dorthin müsse man aber selbst organisieren, die Kosten vorstrecken. Eine andere Dame am Schalter erklärt, dass alle Passagiere drei Stunden vor Flugstart da sein sollten – falls weitere Probleme auftreten sollten.
Die Sorge, nicht das Fahrtgeld zurückzubekommen, auch noch das Hotel vorzustrecken und in der Zeit wichtige Informationen am Flughafen zu verpassen, ist zu groß. Ich entscheide mich, die restlichen Stunden vor Ort zu warten. Schließlich ist es bereits kurz nach 6 Uhr. Wegen zwei bis drei Stunden muss ich nicht extra in ein Hotel. Stattdessen schnappe ich mir wenig später meine neue Bordkarte am Schalter und habe meinen Flug sicher.
14 Uhr. Nur knapp die Hälfte der Passagiere scheint den Ersatzflug wahrzunehmen. Die Leute, die ihr Gepäck abgeben haben, müssen ihre Koffer erst identifizieren. Mit 45 Minuten zusätzlicher Verspätung fliegen wir los. Das Bordpersonal entschuldigt sich. Sie selbst hätten so etwas auch noch nicht erlebt.
Oder wie mein Schweizer Sitznachbar sagen würde: Jo gopferdelli nomol!
Foto: Unsplash / Nivenn Lanos
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