fudder.de: Zwischen Bibeliskäs und Wurstsalat gibt’s Dildos und Dessous: In der Habsburgerstraße, neben Lebemann und Gutenberg-Stüble, ist seit 40 Jahren der Erotikshop Angelique. Wie sich Freiburgs Sexleben in der Zeit verändert hat, erzählt Stefanie Kohler im Interview.
Sieben Euro kostet der Eintritt für das Sexkino, ein wichtiger Bestandteil des Erotikshops Angelique. Gerade läuft ein Film namens „Big Asses“. Verkäuferin Stefanie Kohler grinst hinter der Theke. Ihre Kurzhaarfrisur, der graue Pullover und die Brille schmeicheln ihrem freundlichen Gesicht. Sie bringt Ruhe in den bunten Raum, dessen Regale mit Kondomen, Dildos und Taschenmuschis gefüllt ist.
Der Laden wirkt befremdlich, dabei ist Sex ganz natürlich. Trotzdem ist meine Scham groß, den Shop zu betreten. Schließlich ist der Erotikshop Angelique mit einem roten Plakat an der Scheibe vor dem Fußweg der Habsburgerstraße kaum zu übersehen. Passanten tummeln sich vor der Eingangstüre. Doch warum die Scham? Genau das möchte ich Verkäuferin Stefanie Kohler fragen. 40 – teils unangenehme – Fragen zum 40-jährigen Jubiläum:
1. Frau Kohler, wie viele Ehen hat der Shop in 40 Jahren gerettet?
Etwa zwei pro Jahr.
2. Wie häufig hatten Menschen Sex im Sexshop?
Wahrscheinlich fünf Mal am Tag. Wir haben ein Sexkino. Da kann es voll abgehen.
3. Fünf Mal am Tag? Sprechen Sie von Sex miteinander oder nur Masturbation?
Sex miteinander. Masturbiert wird hier im Schnitt über 50 Mal am Tag.
4. Freiburg ist überraschend … geil?
Freiburg ist konservativ – aber konservativ bedeutet, dass hinter der Fassade etwas schlummert. Nach außen sind wir alle sehr brav. Aber nur nach außen. Seit diesem Jahr fällt mir auf, dass es immer mehr Sexpartys in Freiburg gibt.
5. Haben Sie Freiburg mit Ihrem Sexshop versaut?
Wir haben die Leute gar nicht versaut. Abgesehen davon ist „versaut“ eine Auslegungssache. Wir haben den Menschen nur geholfen, offener zu werden, mal etwas auszuprobieren und miteinander zu kommunizieren.
6. Warum arbeiten Sie überhaupt im Sexshop?
Ich finde es hier sehr angenehm zu arbeiten. Man hat nicht nur das Gefühl, dass man etwas verkauft, sondern auch hilft. Dann sind die Kunden glücklich – und ich finde das voll cool.
7. Sie melden sich am Telefon mit Namen. Nie darüber nachgedacht, anonym zu bleiben?
Ich bin schon öfters in der Zeitung und im Fernsehen gewesen. Mir hat das nie etwas ausgemacht. Mir macht meine Arbeit einfach Spaß.
8. Immer?
Es nervt, wenn man den Leuten immer wieder erklären muss, warum die Arbeit in einem Sexshop ein ganz normaler Job ist. Er ist mit vielen Vorurteilen behaftet.
9. Was für Vorurteile?
Ich wurde schon gefragt, ob ich mich extra schick mache, oder mit den Kunden Sex habe. Auf so Fragen würde ich gar nicht kommen. Und nein, habe und mache ich natürlich nicht.
10. Wie reagiert die Stadt auf Ihren Sexshop?
Wir haben mal ein Bild einer Künstlerin auf unsere Fassade gemalt bekommen: Brüste, die mit Milch bedeckt waren. Das durften wir aber nicht zeigen. Wir haben keine Schaufenster, weil wir zu eingeschränkt wären. Das liegt an der Stadt – beziehungsweise dem Stadtbild. Die besagte Künstlerin hat schon Bilder in der Stadt gemalt, die freizügiger waren. Aber in Verbindung mit dem Sexshop ging das wohl nicht. Von dem her ist es schon etwas, was uns direkt betrifft.
11. Wie politisch ist dieser Laden?
Ich glaube gar nicht.
12. Gar nicht? Politik fängt schon an, wenn Pornos feministischer werden.
Tatsächlich ist das hier eine kleine, abgekapselte Welt. Irgendwie haben sexuelle Interessen ihr Eigenleben und wenig mit der „echten“ Welt zu tun. Beispielsweise gibt es Männer, die sehr gut mit Frauen umgehen – im Porno aber darauf stehen, wenn die Frau ein bisschen härter rangenommen wird. Die Fantasie deckt sich nicht immer mit dem politischen Denken.
13. Hat sich das in den letzten Jahren nicht verändert? Immerhin wurde in Freiburg vor kurzem ein feministischer Porno gedreht.
Ich habe in dem Laden das Gefühl, dass die Zeit stehen geblieben ist. Das Bild wandelt sich – braucht aber noch eine Weile. Wir haben aber schon eine Frauenecke bei den Pornos eingerichtet. Es gibt immer wieder Anfragen für Pornos, die von Frauen gedreht werden.
14. Sehen Sie Leuten ihren Fetisch sofort an?
Nein, gar nicht. Hier könnte ein Anzugträger reinkommen und ich wüsste nicht, ob der auf harten SM steht oder eine Feder kaufen will, um die Freundin zu verwöhnen.
15. Wie entlockt man Menschen ihre Vorlieben?
Muss man eigentlich nie. Viele fragen sehr direkt. Wer sich nicht traut, mich hier persönlich anzusprechen, der ruft vorher an und fühlt schon mal vor.
16. Ist es besser, von einer Frau beraten zu werden?
Die Situation ist demjenigen so oder so peinlich. Egal ob Frau oder Mann. Wenn man die Kunden zum Regal führt und ihnen zeigt, dass man etwas davon versteht, dann ist das Eis gebrochen.
17. Fachkenntnisse. Wie bringt man sich die bei?
Als ich angefangen habe, wurde ich eingearbeitet – in Materialien und Funktionen. Ansonsten liest man sich die Produktbeschreibungen vorher durch und setzt sich mit den Sachen auseinander. Es sei denn, es sind – häufig medizinische – Dinge wie eine Gebärmuttersenkung. Da musste ich vorher erstmal googeln, was das überhaupt ist. Ansonsten gibt es spezielle Magazine für den Erotikeinzelhandel.
18. Welches Spielzeug für Frauen ist selbst nach 40 Jahren noch der Bringer?
Der Vibrator mit Penisform. Ein Klassiker.
19. Bei Männern?
Die Penispumpe.
20. Ist mit den Sextoys der Sex besser geworden?
Ich glaube schon. Viele können dadurch besser miteinander kommunizieren. Früher wurden Männer hergeschickt, die etwas mitbringen sollten. Inzwischen haben wir auch Frauen, die sich das selbst anschauen wollen. Oder Paare, die nach etwas Neuem suchen. Früher war das anders, heimlicher.
21. Wie hat sich Sex in Freiburg verändert – mit diesem Laden?
Er ist natürlich besser geworden. Viel besser! (Lacht). Die Leute sind generell mit Blogs und den sozialen Medien offener geworden und haben nicht mehr die Scheu etwas zu fragen oder auszuprobieren.
22. Was war das Witzigste, das Sie je verkauft haben?
Wir hatten ein Spielzeug, dass die Zunge imitiert hat – auf eine absurde Weise. Das war ein großer Kasten, bestimmt 20 Zentimeter, in den Batterien rein mussten. Weiter vorne war dann eine Zunge sehr getreu nachgebildet. Die hat rotiert. Es hat aber einen riesen Mechanismus gebraucht, nur um diese kleine Zunge zu bewegen. Das sah komisch aus. Aber ja, das Teil hat sich tatsächlich verkauft.
23. Was war die unangenehmste Beratung?
Ich hatte zuletzt einen sehr arroganten Kunden, der mir immer über den Mund gefahren ist. Er hat suggeriert, dass er den Laden kaufen könnte und ich als Lakei hinter ihm her muss – beziehungsweise ihm zu Dienste bin. Zwischendrin habe ich mir überlegt, ob das nicht ein Sexding ist und ich das abbrechen soll. Es hätte durchaus sein können, dass ihn das anturnt.
24. Wie häufig werden Sie nach einem Date gefragt?
Alle zwei bis drei Monate kommt jemand und fragt, ob ich mit ihm einen Kaffee trinken gehe – oder so was.
25. Oder so was? Gibt es auch Sexanfragen?
Auch, ja. Da fragen Leute, ob ich nicht mit in das Kino möchte. Oder sie bieten an, jede Menge zu bezahlen, weil sie mich so attraktiv finden. Aber das ist wirklich nur einmal im Jahr – und nicht plump. Offensiv angebaggert werde ich kaum. Dafür ist der Laden viel zu sexuell aufgeladen.
26. Sie haben zwischendrin vier Jahre in einem Sportgeschäft gearbeitet. Wie häufig wurden Sie da angemacht?
Da kam es schon mal vor, dass mir an den Arsch gegrabscht wurde – aber nie im Sexshop. Im Sportgeschäft gab es definitiv derbere Anmachen.
27. Wer kauft bei Ihnen ein?
Im Kino haben wir heute eher ältere Herren. Das mag aber auch an der Uhrzeit (Nachmittag) liegen. Wir haben einen Gaytag, da kommen viele jüngere Kunden. Ansonsten gibt es tatsächlich viele jüngere Leute, die hier einkaufen. Über 25-Jährige haben wir hier viele.
28. Eine Sexschaukel bei Eis.de gibt es im Angebot für 10 Euro. Warum in einen Sexshop gehen, wenn die Onlineshops günstiger – Pornos sogar gratis – sind?
Wegen der Beratung. Hier kann man die Produkte noch vergleichen. Außerdem haben wir noch Kunden, die besorgt sind, sich Pornos im Internet anzugucken.
29. Dafür schauen sie die Pornos wohl nicht alleine. Wie läuft das mit der Hygiene im Sexkino?
Wir haben hinten eine Toilette. Viele bringen Kondome mit oder sonstige Hygieneartikel wie Handtücher. Früher gab es auch einen Teppichboden, der wurde aber rausgerissen. Jetzt ist einer, den man gut reinigen kann. Das gleiche bei den Sitzen.
30. Es gibt einen Tag für Gayporns. Warum keine für Lesben?
Wir haben im Programm unter der Woche Lesbenszenen in längeren Filmen. Viele finden das aber langweilig. Wir haben einfach nicht die richtige Zielgruppe dafür. Es gehen wenig Frauen ins Kino.
31. Wie lange dauert so ein Film?
Teilweise fünf bis sechs Stunden. Die Filme sind zwei bis drei Jahre alt. Der Durchschnittsbesucher bleibt eine halbe bis eine ganze Stunde. Es gibt aber auch welche, die nehmen sich Vesper mit, wenn ein Film länger geht.
32. Wie häufig wurde die 10er-Stempelkarte für das Kino schon verkauft?
Wir haben die erst seit knapp einem Jahr. Etwa 15 Mal.
33. Weg vom Bewegtbild: Die Auflagen von Zeitungen sinken. Wie sieht’s bei Pornoheften aus?
Ja! Wir haben kaum noch Pornohefte. Wir treiben nur welche auf, wenn Sammler interessiert sind.
34. Sex-Sammlerstücke?
Sogar richtige Sammlerbörsen.
35. Wie viel Geld sind die Heftchen Wert?
Ich weiß es um ehrlich zu sein nicht genau. Wir haben einen Kunden, der kauft die hier – Neuauflagen kosten circa 15 Euro – und verkauft sie dann im Internet weiter für 40 bis 50 Euro. Je nach Darstellerin und Besonderheit steigt der Preis – wie bei jedem anderen Produkt auch.
„Mit einem Strauß Blumen ist nicht jede Partnerschaft gerettet. Mit einem Riesendildo auch nicht.“
Stefanie Kohler
36. Wie viele Leute kommen nur um „sich umzuschauen“?
Vielleicht ein Viertel der Kunden. Die holen sich Tipps, um Probleme zu klären. Es kommen viele Männer, die glauben mit Hilfe einer Creme einen riesigen Penis zu bekommen. Da kann man helfen und erklären, dass das natürlich nicht funktioniert. Manche wollen mit einem Toy eine Partnerschaft retten. Aber mit einem Strauß Blumen ist nicht jede Partnerschaft gerettet. Mit einem Riesendildo auch nicht.
37. Wenn ich 40 Jahre Käsekuchen verkaufen würde, hätte ich irgendwann keinen Bock mehr auf Käsekuchen. Sie arbeiten hier schon lange. Haben Sie noch Bock auf Sex?
Meine Arbeit beeinflusst mein Sexleben eigentlich nicht. Schließlich gibt es auch Käsekuchen mit Rosinen und Mohn. Und wenn man etwas Neues ausprobiert, dann schmeckt der Käsekuchen wieder richtig gut.
38. Warum fühlt es sich verboten und verrucht an, wenn man einen Sexshop betritt?
Weil es immer noch in einer gewissen Weise tabuisiert ist. Wobei das bei vielen den Reiz ausmacht. Jeder hat Sex und das ist ganz normal. Schließlich rennen draußen Kinder rum. Die fallen nicht vom Himmel. In den Köpfen ist Sex durch Medien vielleicht normaler geworden. Aber persönlich ist das noch tabuisiert und mit einer gewissen Scham verbunden. Vielleicht möchten wir aber insgeheim, dass es so bleibt. Mein Tagebuch möchte ich auch nicht jedem zeigen.
39. Was machen Sie mit den Sachen, die sich nicht verkaufen?
Wir reduzieren den Preis. Selten verschenken wir etwas, oder geben Kunden Sachen gratis mit.
40. Wie reagieren Kunden, wenn man Sie auf der Straße trifft?
Viele ignorieren mich. Wir grüßen aber niemanden als erstes, damit sich derjenige im Notfall nicht erklären muss.
Über den Laden und die Verkäuferin
Stefanie Kohler hat 2003 im Erotikshop angefangen und ihre Ausbildung als Management-Assistentin im Einzelhandel abgelegt. Bis heute hat die 37-Jährige nur vier Jahre pausiert und währenddessen in einem Sportgeschäft gearbeitet – ist dann aber zurückgekehrt. Der Erotikshop Angelique ist seit 1979 im Familienbetrieb. Die Betreiberin Sabine Ruh hat den Laden vor knapp 15 Jahren übernommen.
Adresse
Sex-Shop Angelique
Habsburgerstraße 108
Telefon 0761/37116
Öffnungszeiten
Montag bis Freitag: 10 bis 20 Uhr
Samstag: 10 bis 16 Uhr
Foto: Laura Wolfert
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