NOIZZ: 2017 haben sich knapp 2.600 Menschen neu mit HIV infiziert. Gehörst du dazu? Du weißt es nicht? Dabei ist seit Oktober 2018 der HIV-Selbsttest frei verkäuflich.
„Habe ich eigentlich HIV?“ – eine wichtige Frage, die sich die meisten Menschen aber nicht trauen zu stellen. Wie ich. Ich könnte eine von 11.400 Deutschen sein, die nichts von ihrer HIV-Infektion wissen. Wann testet man sich schon auf das „Humane Immundefizienzvirus“? Höchstens beim Blutspenden, selten beim Frauenarzt oder Impfungen. Allgemein viel zu selten.
Ich bin noch nie zu einem Arzt gegangen, nur um mich auf HIV testen zu lassen. Zugegeben, der Grund dafür waren meist nur Ausreden: keine Zeit, Scham und der Gedanke: „Mir wird schon nichts passieren.“ Ziemlich leichtsinnig. Schließlich lebten Ende 2017 in Deutschland rund 86.100 Menschen mit HIV. Knapp 2.600 Menschen haben sich neu infiziert.
Keine Ausreden mehr: Seit Oktober gibt es den HIV-Selbsttest
Seit Oktober vergangenen Jahres ist der HIV-Selbsttest frei verkäuflich. Nun konnte sich auch die Deutsche Aidshilfe durchsetzen: Der Bundesrat hat am 21. September 2018 einer Änderung der Medizinprodukteabgabeverordnung zugestimmt. HIV-Tests gibt es seitdem in Drogeriemärkten, Apotheken und online zu kaufen. Damit soll uns erleichtert werden, einen HIV-Test zu machen. Das ist vor allem für diejenigen nützlich, die den Gang zum Arzt oder zur Teststelle scheuen. Geeignete Produkte sind dabei mit einem CE-Zeichen gekennzeichnet, für Laien konzipiert und in Europa zugelassen. Den HIV-Selbsttest gibt es bereits in zahlreichen Ländern, so auch seit 2012 in den USA und seit 2015 in Großbritannien.
Die Deutsche Aidshilfe empfiehlt drei Tests für Zuhause: „Autotest VIH“, „INSTI“ und den „Exacto“-Selbsttest. Kosten: Knapp 25 Euro plus Versandkosten. Nun gibt es auch für mich keine Ausrede mehr. Ich habe mich mit dem „Exacto“ auf HIV getestet. Doch trotz Recherche und Beipackzettel bleiben einige Fragen. Holger Wicht von der Deutschen Aidshilfe hat sie mir beantwortet.
Warum sollte man überhaupt einen HIV-Test machen?
„Wenn man sich infiziert hat, sollte sofort mit einer medikamentösen Behandlung begonnen werden“, sagt Holger Wicht. „Menschen mit HIV können heute leben wie alle anderen Menschen auch – Sexualität, Familienplanung und Berufsleben inklusive.“ Denn was viele nicht verstehen: HIV ist nicht gleichbedeutend mit AIDS. HIV schädigt die körpereigenen Abwehrkräfte – also das Immunsystem. HIV ist demnach nur die Ursache von AIDS. Der Virus kann zwar nicht bekämpft, aber die Vermehrung verhindert werden. „Je früher, desto besser“, so Wicht. „Mehr als 1.000 erkranken jedes Jahr an Aids, obwohl es vermeidbar wäre!“
Der HIV-Test für Zuhause ist zwar meist teurer, als bei einem Arzt. Doch das muss nichts bedeuten. „Keine der verschiedenen Testmöglichkeiten ist besser oder schlechter als die anderen“, sagt Holger Wicht. Es gäbe aber Unterschiede. „Beim Arzt zahlt zum Beispiel die Krankenkasse, wenn es einen Anlass gibt. In der Aidshilfe wird besonderer Wert auf Beratung vor und nach dem Test gelegt. Beim Selbsttest ist man allein, kann aber anonym online oder telefonisch eine Beratung bekommen.“
Wie läuft so ein HIV-Selbsttest ab?
28,69 Euro kostet der „Exacto“-HIV-Test und ist sogar mit Amazon Prime am nächsten Tag und versandkostenfrei lieferbar. Die lange Gebrauchsanweisung und die vielen Packungen überfordern mich zuerst ein wenig. Ich hatte gehofft, der Test läuft ähnlich simpel ab wie ein Schwangerschaftstest: draufpinkeln, abwarten, fertig. Stattdessen muss ich erst alle sieben Bestandteile von dem Set auf eine saubere Oberfläche legen, dann meine Hände waschen, meine Fingerspitze desinfizieren und mit einem Wattepad abwischen. Mit einer Lanzette pike ich mir in den Finger und drücke einen kleinen Blutstropfen raus. Dann muss ich mit einer winzigen Pipette den Tropfen abfangen und in die Probevertiefung des HIV-Tests machen. In die andere Vertiefung kommen zwei Tropfen einer kleinen Flasche. Zehn Minuten soll man warten, bis das finale Ergebnis feststeht.
Soweit die Praxis. Doch wie funktioniert der Test an sich? „Der Test ist eine chemische Reaktion auf Antikörper, die das Immunsystem gegen HIV bildet“, sagt Holger Wicht. „Das Blut wird in der Testvorrichtung mit künstlich erzeugten Bestandteilen des HI-Virus zusammengebracht. Wenn die Antikörper im Blut dazu passen und sich daran binden, wird eine chemische Reaktion ausgelöst, die zur Bildung des zweiten Streifens in der Anzeige des Tests führt.“
Wie sicher ist der Test?
Der Test kann auf eine Vorlage gelegt werden. Links davon ist ein Bild mit einem negativen und rechts ein positiver Test abgebildet. So kann man sein Ergebnis ganz einfach vergleichen und auswerten. Ein Strich bedeutet: negativ, ich muss mir definitiv keine Sorgen machen. Zwei Striche: Es kann sein, dass ich HIV-positiv bin.
„Wenn das Ergebnis HIV-positiv ist, muss es auf jeden Fall mit einem anderen Testverfahren überprüft werden, weil der Test so empfindlich reagiert, dass er manchmal falschen Alarm schlägt“, so Holger Wicht. „Nur in seltenen Fällen können auch andere Stoffe im Blut, zum Beispiel andere Antikörper, diese Reaktion auslösen.“
Was muss ich sonst bei dem Ergebnis beachten?
„Der Test kann erst 12 Wochen nach dem letzten Risiko zuverlässig ausschließen, dass HIV vorliegt“, sagt Holger Wicht. Wer also mit seinem Partner oder Partnerin einen gemeinsamen Test machen möchte, sollte drei Monate warten, um sicherzugehen. Aber Achtung: Ein negativer HIV-Test ist kein Freifahrtschein für Kondom-freien-Geschlechtsverkehr. Es gibt schließlich auch andere Sexkrankheiten. „Zuverlässige Selbsttests für andere sexuell übertragbare Infektionen sind zurzeit nicht erhältlich“, sagt Wicht.
Bei mir zeigt der Test ein negatives Ergebnis: Ich bin nicht mit HIV infiziert. Der Streifen verblasst allerdings nach knapp zwanzig Minuten. „Es hängt mit dem Material des Tests zusammen: Es wird ja eine chemische Reaktion auf Papier abgebildet. Das ist nichts für die Ewigkeit“, sagt Wicht. „Oft bleibt das Ergebnis aber trotzdem sehr lange sichtbar.“
Für die Ewigkeit ist allerdings ein positives Ergebnis und deren Auswirkungen können eingeschränkt werden, wenn man rechtzeitig mit der Behandlung beginnt. Mit dem Selbsttest gibt es keine Ausrede mehr, sich auf HIV testen zu lassen!
Foto: Laura Wolfert
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