fudder.de: Sina Leipold ist Junior-Professorin für Gesellschaftliche Transformation und Kreislaufwirtschaft an der Freiburger Uni – und erst 31 Jahre alt. Sie hat uns bei einem Croissant erzählt, dass sie während ihrer Arbeit am liebsten Dancemusic hört.
Sina Leipold stellt ihr Fahrrad an der Fassade des Sedan-Cafés ab. Wie soll man sie begrüßen? Guten Morgen Frau Junior-Professorin Doktor Leipold? Sie streckt mir ihre Hand hingegen. „Hi, freut mich! Ich bin Sina.“ Statt grauen Haaren und Falten, wie man es vielleicht von einer Professorin erwartet, hat sie dicke, braune Locken und ihre Haut keinen einzigen Makel. Die Wangen sind durch das Fahrradfahren leicht errötet.
Ihre Wimpern sind dezent getuscht – geschminkt ist sie ansonsten kaum. Sie trägt ein lockeres, weißes Langarm-Shirt und eine dunkelgraue Hose. Mit ihrem natürlichen Aussehen und den kurzen Locken wirkt sie sogar jünger als 31. Wir setzten uns in die Sessel des Sedan-Cafés. Sie bestellt sich einen Milchkaffee, ich einen Cappuccino. Das Croissant teilen wir uns.
Studienpreis statt Taxifahrten
Sina Leipold ist Junior-Professorin. „Das bedeutet, dass ich quasi Professorin in Ausbildungsphase bin. Man hat eigentlich die gleichen Rechte und Pflichten wie eine Professorin, nur weniger Lehrverpflichtungen. So hat man mehr Zeit zum Forschen“, sagt sie. Mit einer weiteren Frau in ihrem Alter ist sie die jüngste Professorin der Freiburger Universität.
Eigentlich wollte sie nach der Schule Biologie oder Medizin studieren. „Dafür war ich aber zu schlecht. Ich hatte nur ein Abi von 2,0 und wollte nicht so lange warten“, sagt sie. Stattdessen fängt sie an, Politik und Geschichte auf Bachelor in Bochum an der Ruhr-Universität zu studieren. Leipold löffelt den Schaum ihres Milchkaffees ab. „Da haben sie mir noch alle gesagt, dass ich damit Taxifahrerin werde!“, sagt sie. Wir lachen.
Statt Taxifahrerin zu werden hängt die junge Studentin einen internationalen Global-Studies-Master der Social-Science in Freiburg dran. Nach einem Zwischenstopp in Wien schreibt sie zurück in Freiburg innerhalb von nur drei Jahren ihre Dissertation über „Unternehmensverantwortung im internationalen Holzhandel“ – mit Bestnote. Für ihre Arbeit wird sie von dem Deutschen Studienpreis mit dem zweiten Platz in der Kategorie Sozialwissenschaften ausgezeichnet. Sina Leipold bekommt so schneller als sonst üblich die Zusage für eine Nachwuchs-Forscher-Gruppe in Freiburg, die sie leiten darf: Ein Modell, das von verschiedenen Fördergebern in Deutschland angeboten wird. Die Annahmequote liegt bei unter zehn Prozent.
Abends feiern mit Freunden. Tagsüber die Doktorarbeit schreiben
Die junge Frau, die mir mit gestreckten Rücken und einem Lächeln auf dem Gesicht gegenübersitzt, wirkt dennoch in gewisser Weise einschüchternd. Innerhalb von drei Jahren die Promotion abzuschließen ist bemerkenswert. Das dauert normalerweise bis zu fünf Jahre – oder länger. Wieder nippt Leipold am Milchschaum. Ihre Tasse ist noch voll. Es scheint, als bräuchte sie für ihren Kaffee länger, als für ihre Doktorarbeit.
Auf die Frage, ob sie sehr stolz darauf ist, so jung und schon einen Professorinnen-Titel zu haben, erröten sich wieder ihre Wangen. Leipold schaut verlegen nach unten, lächelt und sagt: „Ja, schon. Ich habe mir jedenfalls sehr viel Mühe gegeben“. Dann nippt sie doch noch an ihrem Kaffee und zuckt mit den Schultern. „Aber auch ich mache gerne was mit Freunden: Fahre Mountainbike oder gehe mal mit Freunden feiern – aber eher im Sinne von Hauspartys!“, sagt die Forscherin.
Früher feierte sie im White Rabbit oder im Tacheles
Früher sei sie häufiger weggegangen: Im Tacheles, Great Räng Teng Teng und White Rabbit habe sie abends ihre Studierende getroffen, für die sie am Mittag noch Vorträge gehalten hatte. „Manchmal ist das etwas komisch, wenn man ähnlich alt ist. Aber unsere Studiengänge sind nicht so groß, dass man in jeder Lokalität direkt jemanden trifft“, sagt sie. Heute mache sie das nicht mehr so viel. Dafür höre sie Dancemusic bei der Arbeit. „Das entspannt mich!“
Ich schaue sie an und kann mir kaum vorstellen, wie sie, die Junior-Professorin, den Kybfelsen runter driftet oder in ihrem weißen Hemd im damals noch verrauchten White-Rabbit abzappelt. Während andere danach drei Tage verkatert im Bett liegen, schreibt sie an ihrer Forschungsarbeit – die vermutlich noch mit einem Preis ausgezeichnet wird. Dennoch wirkt sie weniger wie ein Überflieger – mehr wie eine Kommilitonin, die zwar weiß, wie schlau sie ist – dir aber jederzeit ihre Hilfe anbietet.
Sie schaut auf das Croissant. „Die isst mein Freund auch sehr gerne!“. Leipold strahlt. Ein Freund. Manch andere Professoren feiern wahrscheinlich schon ihre Silberhochzeit – oder sind zum zweiten Mal geschieden.
Professorin statt Lehrerin
Leipold merkt erst während ihres Studiums, dass ihr das Forschen liegt. „Hausarbeiten und meine Masterarbeit haben mir einfach Spaß gemacht“, sagt sie. Klausuren fand sie hingegen nie besonders spannend. Durch eine ist sie während ihres Bachelorstudiums sogar durchgefallen. „Ich habe in der Zeit zu viel gearbeitet – als Kellnerin. Wissenschaftliche Hilfskraft war ich nie“, sagt sie – und erweckt Hoffnung und Sympathie. Manch andere Studierende brechen nach so einer Schlappe ab, oder lassen sich tatsächlich einreden, dass sie mit ihrem Studiengang nichts erreichen können. „Auch ich hatte natürlich meine Zweifel, ob das alles richtig ist. Ich wusste nicht, was ich werden wollte. Nur Lehrerin sein habe ich ausgeschlossen.“ Die 31-Jähirge rührt mit einem Löffel in ihrem halbvollen Kaffee. Das Croissant liegt zerbröselt auf dem Teller. „Ich habe keine natürliche Autorität und hatte immer Angst, dass mich die Kinder fertigmachen“, sagt sie.
Statt mit Kindern arbeitet sie heute hauptsächlich nur mit männlichen Kollegen, die fast doppelt so alt sind wie sie. „Die Kombination jung und Frau ist besonders schlecht. Das merkt man manchmal schon ein bisschen. Sie fragen mich immer, was ich denn studiere.“ Leipold grinst, sie nimmt es mit Humor. „Dafür sind in meinem Forschungs-Team viel mehr Frauen. Ich möchte sie gerne fördern, weil wir es manchmal nicht so leicht haben und ich das selbst erlebe.“ Doch die 31-Jährige hat gelernt, sich durchzusetzen. „Muss ich. Ich sehe ja auch nicht gerade respekteinflößend aus“, sagt Leipold und lacht.
Ihr Kaffee ist leer, der Milchschaum ausgelöffelt. Wir geben uns die Hand. Man hat das Bedürfnis sie zu drücken. Ihre Unnahbarkeit hat sich in Sympathie verwandelt: Die junge Junior-Professorin ist eine ganz normale 31-jährige Frau, die auch mal durch eine Prüfung gefallen ist, im White-Rabbit feiern geht und Mountainbike fährt. Sie radelt mit ihrem Fahrrad an mir vorbei. Ich hingegen suche in Spotify nach einer Dancemusic-Playlist – und habe mir vorgenommen, nur noch so meine Hausarbeiten zu schreiben.
Foto: Laura Wolfert
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